Geplantes „Lieferkettengesetz“ – mehr als ein Feigenblatt?

Am 14. Juli haben Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein „Lieferkettengesetz“ angekündigt.

Laut ihrer Pressemitteilung sollen damit deutsche Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten zur Einhaltung von Menschenrechten, Gewerkschaftsrechten, „Sozial- und Umweltstandards“ in ihren „Wertschöpfungsketten“ verpflichtet werden. Sie sollen diese überprüfen und Maßnahmen zur Abhilfe „in angemessenem Rahmen“ ergreifen. Andernfalls drohen Sanktionen wie Bußgelder.

Das Gesetz soll es auch erleichtern, dass Betroffene vor deutschen Gerichten auf Schadensersatz klagen können. Das wäre ein Fortschritt.

So hatten Angehörige und Opfer des verheerenden Brandes in der pakistanischen Textilfabrik Ali Enterprises vergeblich versucht KIK zu verklagen.

Unternehmerverbände laufen Sturm

Eine Begründung für das Gesetz ist auch, dass eine zweite Unternehmensumfrage das Scheitern von „freiwilligen Selbstverpflichtungen“ der Konzerne endgültig offenlegte. Welcher Konzern schränkt schon freiwillig seine Profite ein?

Und kaum angekündigt laufen die Unternehmerverbände Sturm gegen das mögliche Gesetz. Schützenhilfe bekommen sie von Wirtschaftsminister Altmaier. Denn, so die Begründung, die deutschen Unternehmen würden dadurch „im internationalen Wettbewerb massiv benachteiligt“. Ganz unzumutbar sei das erst recht in der Corona-Krise. Unzumutbar sei auch, dass sie als „Ersatzpolizei für die Einhaltung von Recht und Gesetz in den Produktionsländern herhalten“ sollten.

Zumutbar ist aber, dass für die Steigerung der Profite internationaler Konzerne viele Menschen zahlen – von den Arbeiterinnen und Arbeitern in den Fabriken, die unter lebensgefährlichen Bedingungen für Hungerlöhne arbeiten, über die Betroffenen der skrupellosen Vergiftung und Zerstörung der Umwelt bis hin zu den Verkäuferinnen und Verkäufern hier zu Lande.

Gesetz auch Reaktion auf wachsende Kritiken und Proteste

Das geplante Gesetz ist nicht zuletzt eine Reaktion auf die wachsenden Proteste dagegen.

„Die Ausbeutung von Mensch und Natur sowie Kinderarbeit darf nicht zur Grundlage einer globalen Wirtschaft und unseres Wohlstandes werden. Das wäre ein Bumerang, der auf uns zurückschlägt“ , erklärt Entwicklungminister Müller. Dabei richtet sich das Gesetz ja nicht grundsätzlich gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur, sondern nur gegen die gröbsten Auswüchse. Und nach massivem Eingreifen der Kapitalistenverbände wurden die bekannt gewordenen Eckpunkte gegenüber früheren Entwürfen entschärft.

Betriebsräte und GewerkschafterInnen aus Modeketten bekräftigen Solidarität

Betriebsräte und Beschäftigten bei H & M, Zara und Primark haben zusammen mit der Gewerkschaft ver.di eine Erklärung verfasst, in der sie sich mit den Näherinnen in den südasiatischen Textilfabriken solidarisieren. Sie fordern die Unternehmen auf, einen Beitrag zur Unterstützung ihrer Kolleginnen und Kollegen in den Zulieferbetrieben zu leisten. Wegen der Corona-Krise sind Millionen Textilarbeiterinnen und -arbeiter ohne Lohnfortzahlung und meist ohne jede soziale Absicherung entlassen worden. Sie fordern die Weiterzahlung der Löhne auch in der Zeit des Stillstands, Schutzausrüstungen und einen wirksamen Infektionsschutz. Sie betonen,  das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung sei wichtiger denn je. In ihren Resolutionen heißt es:

„Die Corona-Pandemie zeigt, wie abhängig wir voneinander sind. Für uns ist das ein Grund mehr, solidarisch mit unseren Kolleginnen und Kollegen entlang der gesamten Lieferkette zu handeln“.

Susanne Bader, eine der Europakoordinatorinnen, hat die Erklärung an Joly Talukder geschickt. Sie ist Generalsekretärin der größten Gewerkschaft der Beschäftigten in der Textilindustrie in Bangladesch und Asienkoordinatorin für die Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen. In einem Antwortschreiben begrüßt sie Erklärung der GewerkschafterInnen aus Deutschland:

„Wir stimmen voll und ganz mit dem internationalistischen Geist der Erklärung der Mitarbeiter von H&M, Zara und Primark überein und unterstützen sie voll und ganz. In der heutigen Wirtschaft des globalisierten Kapitalismus ist es äußerst wichtig, Marken für den Lebensunterhalt der Beschäftigten in den Zulieferländern verantwortlich zu machen. Davon abgesehen gibt es in Bangladesch eine Gruppe lokaler Eigentümer, die versuchen, aus der jüngsten „Pay Up“-Bewegung in den sozialen Medien Kapital zu schlagen. Das Motiv der lokalen Bekleidungseigentümer besteht darin, die Schuld vollständig auf die globalen Marken abzuwälzen, obwohl Themen wie unbezahlte Löhne und Entlassungen auch ohne die durch die Pandemie verursachte Stornierung von Kaufaufträgen weiterbestehen. Die Bekleidungseigentümer nutzen die wirtschaftliche Rezession und die vermeintlichen Verluste, um eine große Zahl von Arbeitnehmern zu entlassen. Daher halten wir es für wichtig, sowohl die internationalen Marken als auch die lokalen Eigentümer für die Notlage der Beschäftigten zur Verantwortung zu ziehen.

Vielen Dank an unsere Kollegen von H&M, Zara und Primark usw.

Joly Talukder, Generalsekretärin
Garment Workers‘ Trade Union Centre, Bangladesh.

Bereits auf den 12. Frauenpolitischen Ratschlag im November 2019 hatte Joly Talukder in einem Interview erklärt: Ein solches Lieferkettengesetz, könne „eine Waffe sein“ im Kampf der Textilarbeiterinnen um ihre Rechte.

Noch ist das Gesetz eine Absichtserklärung und alle Erfahrungen zeigen:

Entscheidend ist die organisierte Stärke der Textilarbeiterinnen in den „Zulieferländer“, ebenso wie die der Beschäftigten hier in Deutschland, ihre Kämpfe und ihre gegenseitige Unterstützung.

Das wird sicher Thema bei der 3. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen in Tunis im Herbst 2021 sein. Bereits die 1. und 2. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen mit ihren bleibenden Verbindungen haben einen wichtigen Beitrag zur gegenseitigen Unterstützung geleistet.

Korrespondenz, Bernadette Leidinger-Beierle