„Here weg go“ – Besuch bei der Bürgermeisterin von Tabarka

Bericht über den Besuch einer Gruppe von 7 Frauen unterschiedlicher Organisationen bei der Bürgermeisterin von Tabarka, Frau Amel Alou, am 14.9.22 im Rahmen einer von der Reiseagentur people-to-people organisierten Reise durch den Norden Tunesiens.

von Beate Stoelzel, Tunis, den 27.9.22

Tabarka, eine Kleinstadt an der Küste im Nordwesten Tunesiens, besitzt ca. 15 000 Einwohner*innen.

Vertreten waren folgende Organisationen: FV Courage, jeweils eine marxistisch-leninistisch orientierte Organisation aus den Niederlanden bzw. Frankreich, Solidarität International, Terre des Femmes sowie eine parteiunabhängige Gemeinderätin einer deutschen Kommune. Alle Mitglieder unserer Gruppe waren Teilnehmer*innen der dritten Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen in Tunis, die kurz vorher zu Ende gegangen war.

Dieser Bericht folgt nicht der Chronologie des Gespräches, sondern orientiert sich an den behandelten Themen.

Die Bürgermeisterin (Bildmitte mit rosa Bluse) empfing die Reisegruppe von people-to-people
und begleitete sie zu einer für Touristen sonst nicht zugänglichen Festung

Amal Aloui organisierte sich während ihres Studiums in einer progressiven, radikalen Gruppe, auch um die Studienbedingungen an der Universität zu verbessern. Während der Ära Ben Ali wurde sie deswegen kurzzeitig inhaftiert. 2012, während der Auseinandersetzungen zwischen progressiven und islamistisch orientierten Gruppierungen an der Universität von Manouba, verhinderte sie zusammen mit anderen das Austauschen der tunesischen Flagge durch die der Djihadisten. Auch dafür wurde sie zuerst angeklagt, dann freigesprochen.

Als Kandidatin einer progressiven Liste, die sich gegen die Einflussnahme der Muslimbruderschaft wandte, wurde sie im Mai 22 als Bürgermeisterin von Tabarka gewählt.

Bei ihrer Amtsübernahme war die Kommune, auch durch das Einbrechen des Tourismus, in einem sehr schlechten Zustand. Der lokale Flughafen ist seit 10 Jahren geschlossen, Tabarka ist öffentlich nur noch durch Busse zu erreichen.
Um den finanziellen Zustand der Kommune zu verbessern, musste sie steuerpflichtige Unternehmen eben an diese Pflicht, Steuern zu zahlen, erinnern.
Das hatte eine fingierte Korruptionsanklage gegen sie zur Folge. Am 9. August wurde sie für 10 Tage inhaftiert, nach breiten Solidaritätskundgebungen, nicht nur in Tabarka, wieder freigelassen. Steuerpflichtige Unternehmen müssen inzwischen während ihrer Amtszeit wieder Steuern bezahlen, daran mussten sich manche dieser Unternehmen erst wieder gewöhnen.

Normalerweise beträgt die Amtszeit einer Bürgermeister*in 5 Jahre, allerdings hat sich das sie unterstützende Wahlbündnis aufgelöst, so dass Anfang nächsten Jahres erneut Kommunalwahlen stattfinden. Ob sie nochmal antritt ist noch nicht entschieden.

Eines der größten Probleme in Tabarka ist die Arbeitslosigkeit.

Eines der größten Probleme in Tabarka ist die Arbeitslosigkeit. Zwei der drei im Ort ansässigen Fabriken wurden geschlossen und der Tourismus als wichtige Einnahmequelle versiegte fast vollständig. Die Arbeitslosenquote unter den Frauen ist geringer als die unter den Männern, weil sich Frauen mit geringerem Lohn zufrieden geben, „Frauen arbeiten während Männer im Café sitzen“. Es kommt auch vor, dass Familien eine ihrer Töchter im Alter von ca. 10-12 Jahren als Haushaltshilfe in eine Familie nach Tunis geben. (Dieselbe Information bekamen wir auch von der Geschäftsführerin der Frauenkooperative in Ain Draham.)

Um die Kommune Tabarka weiter zu entwickeln, eine Angelegenheit, die ihr sehr am Herzen liegt, seien mit hoher Priorität zu verbessern

  • die touristische Infrastruktur, dazu gehört auch die Wiederöffnung des seit 10 Jahren geschlossenen Flughafens
  • die Bekanntheit von Tabarka als Möglichkeit für Investoren, nicht um deren Reichtum zu verbessern, sondern um die Arbeitslosigkeit in Tabarka zu verringern
  • die Sauberkeit der Stadt, den Zustand der Vermüllung des öffentlichen Raumes zu
    verringern

Auf den letzten Punkt angesprochen, dass diese Vermüllung des öffentlichen Raumes auch durch eine erhöhte Sensibilisierung der Bevölkerung entgegengewirkt werden kann, erzählt Amel Aloui, dass durch Unterstützung einer deutschen Organisation an drei Orten in der Stadt Mülltrennungsbehälter aufgestellt worden sind.

Insgesamt gibt es nach dem Sturz Ben Alis, dem „Uprise“, wie der Umsturz von 2011/2012 auch genannt wird, mehr Möglichkeiten der Teilhabe von Frauen am öffentlichen und auch politischen Leben, der tunesische Staat ist gesetzlich verpflichtet die Gleichberechtigung der Geschlechter umzusetzen. Sie schätzt – ohne die genauen Zahlen zu kennen – dass ca. 40% aller Bürgermeisterposten von Frauen besetzt sind, was aber nicht automatisch eine Vergrößerung der Macht von Frauen bedeutet.

Physische Gewalt gegen Frauen ist natürlich gesetzlich verboten, die Möglichkeit für eine Frau gegen physische Gewalt ihres Partners gesetzlich vorzugehen sind bei gleichzeitiger finanzieller Abhängigkeit, insbesondere bei gemeinsamen Kindern, stark eingeschränkt bzw. so gut wie nicht vorhanden. In ihre Ursprungsfamilie kann sie meistens nicht zurück. Frühehen sind gesetzlich verboten, was nicht ausschließt, dass es sie gibt. (s. Haushaltshilfen von 10-12-jährigen Mädchen bei wohlhabenden Familien in Tunis)

Der 8te März wird – wie fast überall – als Tag der Frauen gefeiert, es gibt Kundgebungen und in Tabarka wird an diesem Tag der öffentliche Raum geschmückt.

Auf die Frage nach Friedensbewegungen gerade angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine war ihre Antwort eher kurz: „Menschen, die um ihr tägliches Überleben kämpfen, interessieren sich nicht für den Krieg im dem für sie fernen Europa.“
Bei der Frage der Migration von Afrika nach Europa waren wir einhellig der Ansicht, dass das Geld, das heute in das Sichern der europäischen Grenzen fließt, für (sinnvolle) Investitionen in den entsprechenden afrikanischen Ländern genutzt werden sollte.

Zum Schluss sangen wir gemeinsam das Lied: „Here we go“, auch Amel Aloui stimmte in den Refrain ein.

Wer mit ihr Kontakt zur Möglichkeit der Unterstützung aufnehmen möchte:
Amel Aloui
0021622285381
elalouiamel8@gmail.com