Käthe Bernstein ist Arbeiterin und langjährige Couragefrau. Für die Veranstaltung zum 25.11. „Aufrecht gehen“ hat Ingrid von Courage Tübingen/ Reutlingen ein Interview mit Käthe durchgeführt.
Ingrid: Käthe magst Du Dich vorstellen:
Käthe: Ich bin 82 Jahre alt und hab ein recht bewegtes Leben hinter mir. 30 Jahre lang habe ich in der Firma Sidler gearbeitet. Ich war im IG Metall Ortsfrauenausschuss, war Betriebsrätin, dann wurde ich Betriebsratsvorsitzende. Ich habe 5 Kinder und war zweimal verheiratet.
Mit mir nicht!
Ingrid: Wie kam es, dass Du zum Betriebsrat kandidiert hast.
Käthe: Ich habe für jemanden gebürgt, der ist Pleite gegangen. Daraufhin wurde mein Lohn gepfändet und ich bin entlassen worden, nach 10 Jahren! Da hat es bei mir Klick gemacht, da habe ich gedacht mit mir nicht! Vor Gericht habe ich die miese Abfindung abgelehnt. Sogar der Richter hat über das Angebot gelacht und mich gefragt: „Was wollen Sie?“ Ich wollte nur meinen Arbeitsplatz und Sidler musste mich wieder nehmen. Da ging das Spießrutenlaufen los, nicht von den Kollegen, von Seiten der Geschäftsführung. Da ich so einen Erfolg bei Gericht hatte, haben mich die Kollegen bejubelt und sie haben gesagt:
Du wirst unsere nächste Betriebsrätin!
Und dann habe ich kandidiert und bin auch gewählt worden. Dann sind wir mit vielen Kollegen, die Zeitverträge hatten, vor Gericht gegangen. Sidler wollte sie entlassen und neue einstellen. Wir konnten beweisen, dass sie gebraucht wurden. Da haben wir sehr vielen Kollegen zu einem festen Arbeitsplatz verholfen. Wir waren einmal im Monat vor Gericht.
8.März, Rosen verteilt „Das sollen doch die Männer machen!“
Ingrid: Wie war es dann in der IG Metall selber, hast Du Dich da engagiert für eine Frauenarbeit
Käthe: Ja, im IG Metall Ortsfrauenausschuss (OFA). Den haben wir, Gabi und ich so richtig aufgebaut, der dümpelte so vor sich hin. Die Leitung war ein Mann! Gabi wurde dann Vorsitzende vom Ortsfrauenausschuss.
Ingrid: Was habt ihr alles gemacht im OFA?
Käthe: Gemacht haben wir viel. Kolleginnen zum 8. März beschenkt. Den 8. März, den Frauentag, den kannten sie gar nicht. Ich habe bei Firma Sidler Kaffee und Kuchen und Rosen verteilt. Dann hat ein Geschäftsführer gesagt, was machen Sie denn da, 8. März, da müssen doch nicht Sie die Rosen verteilen, sondern das müssten doch die Männer machen und nicht Sie. Und er hat 500 Euro gegeben, und damit war die Sache erledigt.
Ingrid: Ich habe so in Erinnerung, das Du sehr solidarisch warst, wenn andere Betriebe betroffen waren, wie beim Kampf bei Egeria gegen die Schließung
Käthe: Das war nicht so bekannt in der IGM. Auf dem Frauenpolitischen Ratschlag habe ich einen Arbeiter von Egeria kennen gelernt, da haben wir uns eingemischt, meine Tochter und ich. Auf die Frage, wo sind denn eure Betriebsräte, kam die Antwort, die helfen uns nicht. Die Egeriaarbeiter und ihre Familien haben keinen Pfennig Geld mehr gehabt, weil die Banken keine Kredite mehr gegeben haben. Ich habe ein Spendenkonto eingerichtet und einen Aufruf im Tagblatt gemacht. Das Geld hab ich abgehoben und unter den Kollegen, die vor Egeria waren, verteilt. Das war vor Weihnachten.
Ich glaube, Courage, das ist was für mich!
Ingrid: Wie bist du eigentlich auf den Frauenverband Courage gestoßen?
Käthe: Auf dem Frauenpolitischen Ratschlag (die größte selbstorganisierte, überparteiliche Frauenveranstaltung in Deutschland) hat mich eine Kollegin von Courage angesprochen, wie es mir gefallen hat. Ich habe gesagt, ich glaube, Courage, das ist was für mich und ich überlege, dass ich da mit mache.
Ich hab mir nie die Butter vom Brot nehmen lassen.
Ingrid: Was meinst Du zu dem Motto „Aufrecht gehen“
Käthe: Aufrecht gehen, man kann immer was tun, man muss sich nicht alles gefallen lassen. Ich habe 5 Kinder gehabt, geschichtet, teilweise in drei Schichten und hab mich auch gewehrt. Ich hab mir nie die Butter vom Brot nehmen lassen. Das kann man auch sagen, wenn manche Frauen immer sagen: nein, das kann ich nicht, ich habe dafür keine Zeit, das geht nicht, ich habe Kinder und Haushalt. Kuck mich doch an. Ich hab auch Kinder und Haushalt und hatte einen Mann, der getrunken und gerne geprügelt hat. Ich hab auch viel einstecken müssen im Leben.
Ingrid: Du hast Dich immer eingesetzt gegen Gewalt an Frauen und Mädchen?
Käthe: Der Anlass ist ja die Gewalt an Frauen und Mädchen. Da hab ich ja schon ewig gekämpft für die Frauen, die vergewaltigt worden sind, die prügelnde Männer gehabt haben, auch weil ich selber die Erfahrung darin gehabt habe, habe ich mich gerne darin engagiert, für die Frauen stark gemacht. Ich erzähl das deswegen, weil jeder kann sich hinstellen und sagen: „So, mit mir nicht.“ Ich habe das auch erlebt und ich habe es geschafft, mich nach 19 Jahren Ehe zu trennen.
Nehmen Sie den Finger da weg oder ich schrei oder ich beiss.
Ingrid: : Ihr hattet doch beim Sidler auch Arbeitskämpfe?
Käthe: Es gab Streiks, wo bei der Firma Sidler nichts los war. Wir hatten einen Betriebsrat, der mit der Geschäftsleitung Betriebsratssitzung gemacht hat. Das war `ne Tatsache.
Es gab einen Aufruf der IG Metall, die Arbeit niederzulegen für eine Lohnerhöhung. Da war ich noch Vertrauensleutekörperleitung. Ich wollte den Betriebsratsvorsitzenden fragen, was er zu machen gedenkt. Deshalb bin ich früher in die Firma gegangen, um halb zwei vor der Spätschicht. Da kam mir der Betriebsleiter entgegen, „Wo wollen Sie hin“. Ich: „In den Werkzeugbau, ich will fragen, wie es denn heute ist mit dem Streik“. Ich hatte wohl zuviel gesagt. Ich hatte die Latzhose an und hatte den Button 35 Stundenwoche dran. Der Betriebsleiter stand vor mir wie ein Rumpelstilzchen, der Kopf wurde so heiß, so rot und er hat immer mit dem Finger auf den Button gestochen. Ich hab gesagt: „Nehmen Sie den Finger da weg oder ich schrei oder ich beiss.“ Er hat den Finger nicht weggenommen. Ich hab den Finger genommen und gesagt: „Ich beiß zu“. Sein Kopf wurde noch röter, er hat sich umgedreht und ist ab, hat mich einfach stehen lassen.
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Ingrid: Was lief beim Streik um die 35 Stundenwoche?
Käthe: Es gab einen Aufruf, der eigentlich auch in der Firma Sidler hätte verteilt werden sollen. Ich hab den zufällig an einer Maschine gefunden und lesen wollen. Einer vom Betriebsrat riss mir dieses Ding aus der Hand und sagte „Das gibt es bei uns nicht“. Und drei Tage später gab es den bei uns doch. Wir wurden ausgesperrt. Der Chef hat die Bude zugemacht, alle Ausgänge verriegelt und verrammelt. Sogar mit Polizei hat er das bewachen lassen und wir sind da nicht mehr reingekommen. 7 Wochen lang haben wir keinen Pfennig bekommen. 7 Wochen, da wusste ich nicht mehr, was ich tun sollte, mein damaliger 2. Mann war arbeitslos. Und ich hab ganz gut verdient, aber wir mussten 900 Euro Miete zahlen, und ich wusste nicht mehr woher nehmen, war im Mietrückstand, wusste nicht mehr, wo das Essen herkommen soll. Und dann ganz zum Schluss, wie der Streik vorbei war, da hatte sich die IGM besonnen, dass es bei der Firma Sidler auch Mitglieder gibt und die haben uns dann ausnahmsweise Streikgeld nachgezahlt. Sonst hätten wir gehungert.
Egal wo, alleine bist du nichts, zusammen bist du viel!
Ingrid: Erzähl noch die Geschichte von dem Kollegen, den ihr umkreist habt
Käthe: Es gab einen Kollegen in der Stanzerei, wo aus Platzmangel eine Spritzmaschine hingestellt wurde und daran hat eine Kollegin gearbeitet. Sie ist schreiend in die Kunststoffabteilung gerannt: „Ich kann dort nicht mehr arbeiten, dieser Mann starrt immerzu nur auf meinen Hintern“. Da hat eine andere Kollegin gesagt, alle Frauen mitkommen, Maschinen stehen lassen. Jedenfalls sind alle in die Stanzerei marschiert und haben diesen Typen eingekreist, nur angestarrt, haben nichts gesagt, nur angekuckt. Das ist ein Auflauf gewesen, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Er hat ne Abmahnung bekommen.
Alleine biste niemand, wenn man zusammenhält erreicht man viel, organisieren ist sehr wichtig. Es ist ganz, ganz wichtig für Frauen, dass sie sich organisieren, entweder in den Gewerkschaften oder im Frauenverband Courage. Egal wo, alleine bist du nichts, zusammen bist du viel.
Ingrid: Wie geht’s Dir heute?
Käthe: Du weißt ja`, mein richtiges Problem ist, dass ich gerne möchte aber nicht mehr kann. Ich hatte diese ekelhafte Krankheit 2013, war gelähmt von Kopf bis Fuß und konnte mich sehr schwer davon erholen. Die ist auch heute noch sehr, sehr spürbar in meinem Körper. Ich bin zwar aus dem Rollstuhl raus, kann laufen aber nicht so wie es sein sollte.
Ingrid: Was ist in der Situation für dich ganz wichtig?
Ganz wichtig für mich ist, dass man nicht sagt, aus den Augen aus dem Sinn, sondern, dass ich regelmäßig von Euch Besuch bekomme.
Ingrid: und dass Du eine Weggefährtin hast .
Käthe: Die hat mir jemand aus der Türkei mitgebracht, meine Badem, was zu Deutsch Mandel heißt. Sie ist ein ganz wachsamer Hund und auch ganz toll, die liebt mich und ich lieb sie.
„Vielen Dank Käthe“ – „Bitte, gern geschehen“