Der VFI Kongo* schickte uns ein Interview mit einer Frau aus Mbuji-Mayi.
Frau Kapinga, eine Witwe, Mutter von fünf Kindern und Bewohnerin der Stadt Mbuji-Mayi in der DR Kongo war bereit, uns ein Interview über ihre täglichen Erlebnisse zu geben.
Mbuji-Mayi ist eine Bergbaustadt, die sich seit dem Konkurs der ehemals staatlichen Diamantenminen-Firma MIBA, dem einzigen großen Unternehmen in der Region, in einer schweren Krise befindet. Das Ngenyi-Volksbildungszentrum, Partner von Solidarität International (SI) und dem VFI Kongo, liegt in unmittelbarer Nähe. Vor etwa 30 Jahren gehörte die Stadt weltweit zu den fünf größten Produzenten von Industriediamanten. Der harte Abstieg der Stadt erklärt heute eine beispiellose Abwanderung von mehr als 300.000 jungen Menschen in andere Großstädte des Kongo.
Hier das Interview:
Frage:
Frau Kapinga, können Sie uns etwas über Ihren Familienstand und Ihren Beruf sagen?
Antwort:
Ich bin 45 Jahre alt und Mutter von fünf Kindern. Ich habe meinen Mann vor vier Jahren verloren, im Moment ziehe ich meine Kinder allein groß. Hier bei uns in Mbuji-Mayi sterben viele Menschen frühzeitig. Bei uns ist eine große Zahl von Frauen schon in jungen Jahren verwitwet, denn die Männer gehen vielen gefährlichen Tätigkeiten nach, wie zum Beispiel der Arbeit in den handwerklichen Minen[1], die nicht ausreichend gesichert sind. Hinzu kommt, dass die Infrastruktur für das Gesundheitswesen unzureichend ist und sich die Situation seit dem Zusammenbruch der MIBA noch weiter verschlechtert hat. Alle sozialen Einrichtungen, einschließlich der Krankenhäuser, die unter der Verantwortung dieses Bergbau-Unternehmens standen, sind außer Betrieb. Früher kamen sie den Familien der Arbeiter und auch der umliegenden Bevölkerung der MIBA-Siedlung sehr zugute. Jetzt sind wir nur noch auf minimale Versorgung beschränkt (Wunden verbinden und Parasiten behandeln), und selbst nur dann, wenn man über die dafür nötigen finanziellen Mittel verfügt.
Frage:
Wie schaffen Sie es dann, das nötige Einkommen nach Hause zu bringen, um sich selbst und Ihre Kinder zu versorgen?
Antwort:
Ich bin Grundschullehrerin und unterrichte auch noch weiter. Ich habe nach der letzten Erhöhung durch die Tshisekedi-Regierung ein Monatsgehalt von 180.000 Francs Congolais (FC), das entspricht 90 US-Dollar, vorher bekamen wir nicht einmal 80.000 FC. Mit den fünf Kindern kann es über 100.000 FC meines Gehalts kosten, eine passable Wohnung von mindestens drei Zimmern zu bekommen. Ganz zu schweigen davon, dass in Mbuji-Mayi elektrischer Strom Mangelware ist: er ist technisch gesehen vielleicht zugänglich, faktisch aber für die große Mehrheit der Haushalte unerreichbar.[2] Noch schlimmer ist aber, dass fließendes Wasser in Mbuji-Mayi seit Jahrzehnten problematisch ist. Für unseren Tagesbedarf versorgen wir uns bei Straßenhändlern mit 25-Liter-Kanistern, die mit dem Fahrrad transportiert werden. Für jede Frau in unserer Gesellschaft ist der Mangel an ausreichend Wasser völlig inakzeptabel. Da steht man unter ständigem Stress, vor allem als Mutter von mehreren Kindern.[3] Wenn schon wir als Angestellte mit immerhin einem regelmäßigen Einkommen uns beschweren, kann man sich vorstellen, wie sich Tausende von Frauen den Kopf zerbrechen, die nur etwas auf dem Markt verkaufen können, um für den Tag etwas zu essen zu bekommen.
Frage:
Wie sieht es für die Kinder im schulpflichtigen Alter aus?
Antwort:
Selbst bei uns, die wir einen Job haben, ist die Schulausbildung unserer Kinder absolut ungewiss. Zunächst braucht man schon für die Anmeldung eines Kindes in einer Schule, in der es unter akzeptablen Bedingungen lernen kann, mehr Mittel, als selbst Beamte sie aufbringen können. Da viele Eltern jedoch Wert darauf legen, dass ihr Nachwuchs eine Ausbildung erhält, sind sie dafür bereit, alle möglichen Opfer zu bringen. Man braucht sich nur zu Beginn jeden Schuljahres anzusehen, wie deprimiert viele Eltern sind, weil die Kosten für die Anmeldung und die Schulmaterialien pro Kind gar nicht zu bewältigen sind, denn schon die Anmeldegebühr für die Grundschule beträgt durchschnittlich 200.000 bis 300.000 FC pro Kind. So ist es schon üblich, dass Eltern mit mehreren Kindern beschließen, ihre Kinder pro Schuljahr abwechselnd zur Schule zu schicken, damit zumindest allen der Schulbesuch ermöglicht wird. Auch wenn die Schulzeit dadurch länger wird. Die meisten Schulkinder legen lange Strecken zu Fuß zurück, da sich in der eigenen Nachbarschaft keine Schule mit annehmbaren Bedingungen befindet. Es gibt keine öffentlichen Verkehrsmittel wie etwa Busse. Wenn die Kinder dann zu Fuß nach Hause kommen, sind sie bereits müde, und bis sie sich ausgeruht haben, ist es schon dunkel[4]. Aufgrund des Mangels an elektrischem Strom müssen sie auf Sturmlampen zurückgreifen, um ihre Hausaufgaben machen zu können, mit all den Nachteilen dieser nur schwachen Lampen. Das ist auch der Grund für die schlechten schulischen Leistungen der meisten Kinder und die vielen Schulabbrüche. Wie viele andere Eltern auch, versuche ich durchzuhalten und allen meinen Kindern zumindest eine akzeptable Schulzeit zu ermöglichen.
Frage:
Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation und wie ist sie für viele andere Menschen?
Antwort:
In unserer Stadt muss wirklich alles organisiert werden. Die Versorgung mit dem Nötigsten ist schwierig. Kaum ein Verbindungsweg ist erneuert, was den Handel mit den großen Städten wie Kinshasa oder Lubumbashi, die die Hauptlieferanten von Fertigprodukten sind, stark einschränkt. Auch mit dem Umland ist der Handel schwierig, da die Straßen für die Landwirte praktisch unbefahrbar geworden sind, und die lokalen Produkte, die zu uns gelangen, entweder mit Fahrrädern oder von den Frauen auf dem Kopf transportiert werden. Dazu haben wir bereits das durch die Inflation der Treibstoffpreise stark schwankende globale Umfeld sowie die ohnehin schon angespannten Haushaltskosten. Und trotz alledem gehen die Menschen weiterhin verschiedenen Aktivitäten nach, um zu überleben. Diese Situation an sich ist für die große Mehrheit der Bevölkerung zu hart. Aber die größte Herausforderung besteht darin, überhaupt erst einmal die lokalen Behörden zu organisieren, die für die Erfüllung der Grundbedürfnisse der Gemeinschaften an der Basis verantwortlich sind. Denn wenn es keine echte kollektive Verantwortung für die Bereiche gibt, die doch für das Überleben der jeweiligen Gemeinschaft ausschlaggebend sind, werden sich die Bemühungen von einzelnen Personen nur gegenseitig aufheben. Die tiefe Massenarmut steht und fällt mit dem Grad des organisatorischen Chaos in jeder entsprechenden Einheit.
Anmerkungen:
[1] Das sind meist einfache, gegrabene Löcher ohne Absicherungen, in die die Bergleute einsteigen.
[2] Das Wasserkraftwerk von Mbujimayi ist marode und fällt oft aus.
[3] Obwohl die Region sehr wasserreich ist.
[4] Um den Äquator herum ist es immer nur von 6-18 Uhr hell.
*Der Verein zur Förderung der Infrastruktur in der DR Kongo (VFI) ist Partner vom Ngenyi a.s.b.l. im Kongo, der das Interview führte. Der VFI unterstützt den Aufbau und Betrieb des Volksbildungszentrums Ngenyi nahe Mbuji-Mayi und sammelt dafür Spenden.
www.vfi-kongo.org
Foto: www.vfi-kongo.org