In ganz Deutschland von Kiel bis München fanden in den letzten Tagen Protest- und Solidaritätskundgebungen zur Lage der Menschen in Afghanistan statt. In Frankfurt gab es am Samstag, dem 21.8.21, gleich zwei Aktionen – jede mit 400 bis 500 Protestierenden. Eine davon wurde von „Seebrücke“ organisiert und setzte sich vor allem für das Recht auf Asyl, eine Luftbrücke und sichere Fluchtwege aus Afghanistan ein.
Für eine Kundgebung an der Hauptwache im Zentrum hatte die „Kampagne zur Verteidigung des afghanischen Volkes vor den Taliban“ aufgerufen. Dort kamen vor allem Menschen afghanischer und iranischer Herkunft zusammen, darunter viele Jugendliche und Frauen. Einige bangen um ihre Familien in Afghanistan, andere sprechen von einer Retraumatisierung. Ihnen ist wichtig, dass die Taliban nicht anerkannt werden. Sie wollen die wenigen Fortschritte, die es gab, nicht mit Füßen getreten sehen. Einige Redner erklären auch, dass das Land nicht weiter Spielball verschiedener regionaler und Weltmächte bleiben darf.
Eine Courage-Frau bekundete die Solidarität des Verbands mit folgender Erklärung, in etwas gekürzter Form vorgetragen:
Ich freue mich, dass so viele Menschen hier protestieren und überbringe euch die Solidarität des überparteilichen Frauenverbands Courage.
Wir waren schon in den 1990er Jahren mit afghanischen Frauen gemeinsam gegen die Taliban und weitere islamistische Kriegsherren auf der Straße.
Die dramatische Situation in Afghanistan und das Schicksal der Menschen dort bewegen uns tief. Unsere besondere Solidarität gilt den Frauen, die um erkämpfte Rechte oder sogar ihr Leben fürchten müssen. Ihnen versichern wir: Ihr seid nicht allein – verliert nicht den Mut! Euer Kampf ist der Kampf der Frauen der Welt.
Die Geschwindigkeit der vollständigen militärischen Übernahme des Landes durch die Taliban mag überraschen, nicht aber die Tatsache selbst. Schließlich machten die zweijährigen „Friedensverhandlungen“, die eine Regierungsbeteiligung der Taliban vorsahen, ihnen den Weg frei.
Die ganze Heuchelei dieser 20-jährigen militärischen Besetzung Afghanistans kommt in ihrem Schlussdesaster zum Ausdruck. Dieser Krieg wurde unter anderem vom damaligen grünen Außenminister Fischer mit der „Befreiung der Frau“ gerechtfertigt. Gegen diesen Betrug haben wir von Anfang an protestiert.
Laut US-Präsident Joe Biden entspreche ein Verbleib der Truppen nicht mehr den „nationalen Interessen der USA“. Danke für die Offenheit: Es ging nie um die Menschen in Afghanistan, die „Befreiung der Frau“ oder den demokratischen, selbstbestimmten Aufbau des Landes. Es ging immer um die Vormacht in der strategisch wichtigen, rohstoffreichen Region.
Das ist eine Lektion für die Welt, wozu der Einmarsch fremder Truppen in Afghanistan geführt hat.
„Das ist eine Lektion für die Welt, wozu der Einmarsch fremder Truppen in Afghanistan geführt hat.“ sagte uns eine im Ausland lebende Aktivistin der „Revolutionären Verbands Vereinigung Afghanistanischer Frauen“ (RAWA).
Sie berichtete auch, in den 20 Jahren nach der letzten Taliban-Herrschaft hätten sich die Menschen in Afghanistan verändert. Viele haben neue Freiheiten kennengelernt, sind über Internet und soziale Medien mit Freunden und Familien auf der ganzen Welt vernetzt. Sie haben Erfahrungen gemacht mit der „Hilfe“ der USA, Deutschland und den anderen Mächten in ihrem Land, mit einer korrupten Regierung, die von den Besatzern abhängig und mit reaktionären Warlords wie der Nordallianz verbunden waren.
Es hat sich ein neues Selbstbewusstsein entwickelt, gerade auch unter Frauen. Auch wenn die realen erkämpften Fortschritte längst nicht ausreichen, zurück wollen sie keinesfalls.
Vertreterinnen der Regierung verbreiteten die Hoffnung, in den „Friedensverhandlungen“ könnten die Taliban zur Respektierung der Frauenrechte bewegt werden.
Wie der Wolf, der Kreide gefressen hat, versprechen diese nun den Frauen, sie könnten ihre Rechte behalten, allerdings im „Rahmen des Islam“. Als ob die Frauen nicht wüssten, wie menschenverachtend und brutal das Taliban-Regime von 1996-2001 besonders die Frauen behandelte.
Einem ranghohen Taliban-Anführer zufolge soll künftig ein Rat islamischer Gelehrter über Arbeit und Bildung für Frauen entscheiden, ob Mädchen zur Schule gehen dürfen und wie sich Frauen zu kleiden haben. Einen ersten Vorgeschmack gibt es in Masa-i-Scharif: Mädchen müssen ab der 10. Klasse auf Schulweg eine Burka tragen und Jungs dürfen höchstens bis zur 4. Klasse von Lehrerinnen unterrichtet werden.
Das „islamische Emirat“ der Taliban ist nichts anderes als eine religiös verbrämte Form des Faschismus mit der Scharia als Grundlage. Diese propagiert die Minderwertigkeit von Frauen und rechtfertigt ihre Rechtlosigkeit und Unterdrückung.
Erste Proteste regen sich. In Kabul gingen einige Frauen auf die Straße. In mehreren Städten gab es Demonstrationen mit der afghanischen Flagge als Protestsymbol. Sie wurden mit Waffengewalt unterdrückt, es gab Tote.
Wir sind überzeugt davon, dass sich der demokratische, gerade auch der Frauen, trotz aller Unterdrückung entwickeln wird. Ein Widerstand, der sich nicht abhängig machen darf von alten und neuen imperialistischen Mächten.
Was uns zornig macht, ist daß die Sorge von Armin Laschet und weiteren Politikern nicht etwa den Menschen in Afghanistan gilt. Bis vor kurzem wurde ja noch in das angeblich sichere Herkunftsland abgeschoben. Nun sorgen sie sich darum wie Menschen an der Flucht nach Deutschland gehindert werden können nach dem Motto: „Keine Wiederholung von 2015“. Im Gegensatz dazu haben viele Gemeinden und Städte schon ihre Aufnahmebereitschaft erklärt.
Die hektische Evakuierung der „Ortskräfte“ reicht uns nicht.
Wir treten ein:
- Für die Unterstützung eines unabhängigen demokratischen Widerstands in Afghanistan
- Für die Selbstbestimmung des afghanischen Volkes und das Recht auf Flucht
Von der deutschen Regierung fordern wir:
- Keine Anerkennung des Taliban-Regimes
- Aufnahme von Geflüchteten aus Afghanistan auf antifaschistischer Grundlage
- Dauerhaftes Bleiberecht für alle aus Afghanistan stammenden Menschen, die schon in Deutschland leben und noch kommen werden
- Eigenständiges Bleiberecht für geflüchtete Frauen, Anerkennung geschlechtsspezifischer Unterdrückung als Asylgrund