Solidaritätsbrief für Uschi Gerster
Der Frauenverband Courage Essen e.V. schrieb am 17. Juni den Solidaritätsbrief an Uschi Gerster, Sprecherin der ver.di Vertrauensleute am Uniklinikum Essen:
Liebe Uschi Gerster, liebe Vertrauensleute vom UNI- Klinikum in Essen,
erstmal ziehen wir unseren Hut für eure gelungene und mutige Soli- Aktion am 9. Juni mit dem von unmenschlichen Polizisten in den USA ermordeten George Floyd am UNI- Klinikum Essen: #BlackLivesMatter!
Wir danken euch, dass ihr in eurer Rede auch die strukturelle rassistische Polizeigewalt in Deutschland und in unserer Stadt Essen angreift und euch mit den Opfern solidarisiert.
Eure Rede hat einen regelrechten Aufruhr in Essen verursacht, nachdem die WAZ eure Sprecherin Uschi Gerster verfälscht zitierte. Sie habe gesagt, die deutsche Polizei begehe rassistische Morde an Flüchtlingen.
Wir haben gelesen, was Uschi Gerster wirklich gesagt hat (Zitat):
„Auch in Deutschland kommt es immer wieder zu rassistisch motivierter Polizeigewalt, die auch Menschenleben fordert. (…) Immer wieder kommt es vor, dass auch deutsche Beamte Menschen erschießen, meist handelt es sich dann um Geflüchtete oder Menschen mit Migrationshintergrund. Solche „Vorfälle“ werden so gut wie nie aufgeklärt bzw. die Täter nicht belangt. Selbst die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sagt, dass rassistische Polizeimaßnahmen in Deutschland verbreitet sind. Auch Polizeikontrollen aufgrund ethnischer Herkunft seien „definitiv auch in Deutschland ein Problem“.
Wie ist sowas möglich in dieser so oft beschworenen deutschen Demokratie?
Soll das demokratisch sein, wenn die WAZ nachweisbar Lügen in zehntausenden Essener Haushalten verbreitet und die Gegendarstellung der Beschuldigten Uschi Gerster nicht veröffentlicht?
Soll das demokratisch sein, wenn die Stadtregierung, der Oberbürgermeister, die meisten Parteien im Stadtrat diese Lügen einfach übernehmen und damit die Polizei von rassistischen Gewalttaten frei sprechen?
Soll das demokratisch sein, wenn der Artikel von Bodo Urbat, der die ganze Sache aufdeckt, im Lokalkompass einfach entfernt wird?
Völlig zu Recht kritisiert Uschi Gerster die strukturelle rassistische Gewalt im Polizeiapparat
Wir wissen aus eigener Erfahrung durch unsere ehrenamtliche Arbeit in Flüchtlingscamps und in unserem Frauenverband, dass Uschi Gerster völlig zu Recht die strukturelle rassistische Gewalt im Polizeiapparat kritisiert und Aufklärung ungeklärter Fälle fordert!
Aktuellstes Beispiel mit unmenschlicher Polizeigewalt ist das traumatisierende Erlebnis einer Couragefrau aus Herne: Weil sie ihrem Bruder gegen die Bedrohung durch die Polizei zu Hilfe eilte, wurde sie brutal zu Boden geworfen, martialisch bedroht, angebrüllt und mit Pfefferspray verletzt. Mitgenommen zur Wache musste sie sich dort nackt ausziehen! (mehr dazu auf fvcourage.de)
Wir hören seit Jahren von neuen Nazistrukturen in der Polizei oder auch in der Bundeswehr
Aufgrund heftiger Massenproteste gegen Faschisierung, Militarisierung und Rassismus im Polizei-, Bundeswehr und Verfassungsschutzapparat wurden in allen Ländern der Republik
Untersuchungsausschüsse und Extremismus- Beauftragte eingesetzt. Es ist genau, wie Frau Gerster sagte: wir hören seit Jahren regelmäßig von neuen Nazistrukturen, die in der Polizei oder auch der Bundeswehr aufgedeckt werden, wie Uniter, Nordkreuz oder dem selbsternannten NSU 2.0.!
Unsere Erfahrung ist, dass gerade in solchen Krisen Kritik unterdrückt und kriminalisiert wird.
Warum gibt es einen solch heftigen Angriff gegen Menschen in neuerdings anerkannt „systemrelevanten“ Berufen? Der Aufreger ist, dass ihr euch als Belegschaft mit euren Vertrauensleuten politisch zu Wort gemeldet habt, vor den Toren des zweitgrößten Arbeitsgebers in Essen, dem Uniklinikum.
Wir fragen uns, ob diese Aufregung nicht mit der gesamten politischen Ausrichtung zu tun hat, nämlich der Tendenz in Deutschland, Proteste und Widerstand, Streiks und Demonstrationen mit Verleumdungen und Hetze zu zertreten. Gerade in den Pflegeberufen gibt es extreme Widersprüche zur herrschenden Politik, werden KritikerInnen der Gesundheitspolitik kriminalisiert, wie aktuell in der Auseinandersetzung mit dem Thema „Pflegekammer“ und der Politik gegenüber den Pflegeberufen: Kritiker der unsozialen „Pflegekammer“- Pläne werden als „militante Kräfte“ diskreditiert, es wird ihnen eine „kriminelle Energie“ unterstellt.
Die Pflegekräfte kritisieren, dass staatliche Hilfe bei ihnen nicht ankommt, dass kein ausreichender medizinischer Schutz besteht, dass willkürlich wieder alles geöffnet wird ohne einmal die an der Front, nämlich die Pflegekräfte und Familien zu fragen, ob sie das befürworten. In Kliniken, Altenheimen, Flüchtlingslagern, Familien und Kleinunternehmen brodelt ein Kessel voller Widersprüche. Unsere Erfahrung ist, dass gerade in solchen Krisen Kritik unterdrückt und kriminalisiert wird. So auch eure Rede.
Das hat eine Solidarisierungswelle hervorgebracht
Was wir allerdings wirklich gut an dem ganzen Prozess finden ist: Das hat eine Solidarisierungswelle hervorgebracht, die Fronten geklärt und eine Richtung gezeigt, dass wir uns nicht spalten lassen. Dass wir weltanschaulich offen, demokratisch, international zusammen arbeiten und kämpfen müssen!
Wir fordern dass die WAZ, die Stadtregierung, Parteien ihre unhaltbaren Falschdarstellungen öffentlich zurücknehmen. Wir fordern, dass sie alle sich öffentlich entschuldigen, bei Uschi Gerster, den Vertrauensleuten, den KundgebungsteilnehmerInnen und bei uns allen, die Polizeigewalt live erlebt, von ihr erfahren haben und sie bekämpfen.