Reportage aus Wuppertal
Mit drei Courage-Frauen aus Wuppertal besuchen wir sie an einem sonnigen Tag im Februar, um ihnen erneut unsere Solidarität zu zeigen in ihrem Kampf um jeden Arbeitsplatz! Sie bedanken sich sehr dafür.
Seit Weihnachten 2022 protestieren die Arbeiter des Felgenherstellers Borbet mit ihren Frauen und Kindern bei Wind und Wetter täglich vor dem Fabriktor gegen die Schließung des Werks in Solingen: Insolvenz in Eigenverwaltung. „Insolvenz, eine Lüge“ sagen sie. Bestätigt durch ein Plakat, auf dem zu lesen ist: „Jahresumsatz von Borbet 2021 = 909 Mio. Euro“. Also, wohl reichlich Profit gemacht!
„Heute ist der 52. Tag!“ sagen sie uns stolz. Mit wehenden IGM-Fahnen und Transparenten stehen sie selbstbewusst vor dem Werk,
in dem sie teils Jahrzehnte gearbeitet haben. Immer wieder rufen sie: „Wir wollen unsere Rechte!“ Hupende Zustimmung der vorbeifahrenden Autofahrer.
Hier bei der täglichen Mahnwache oder besser gesagt Protestaktion haben sich die meisten Frauen Ende Dezember kennengelernt. Hier beraten sie sich, machen sich gegenseitig Mut, schließen neue Freundschaften. Sie kommen aus verschiedenen Städten, organisieren sich über eine WhatsApp-Gruppe.
Auf unsere Frage, woher sie die Ausdauer nehmen, antwortet eine Frau prompt:
Das ist ein Muss. Wir und auch die Kinder brauchen die Arbeit. Wir wollen nicht in Hartz IV. Wir müssen kämpfen – nicht nur für uns, wir wollen auch anderen Mut machen.
„Heute wir – morgen ihr!“ skandieren sie und selbst die kleine Tochter hält schon das Mikrofon fest in der Hand. Früh übt sich, wer eine Kämpferin werden will.
Auch eine ältere türkische Frau aus der Nachbarschaft kommt regelmäßig. Ihr Mann arbeitete früher in Contischicht bei Mannesmann – heute Borbet. Er starb vor zehn Jahren.
Seit sie von dieser Protestaktion erfuhr, sitzt sie auf der kleinen Mauer und zeigt so ihre Solidarität.
Die Ehefrau eines türkischen Kollegen erklärt uns: „2014 hat die Firma Insolvenz gemacht, in der ich damals gearbeitet habe, heute dann Borbet, wo mein Mann arbeitet. Es trifft uns alle, und wir sind nur gemeinsam stark!“ Rufe aus dem Mikrofon unterbrechen unser Gespräch: „Mehmed, 27 Jahre bei Borbet. Cemal 32 Jahre bei Borbet. Wo sind sie jetzt?“ Frauen antworten lautstark im Chor: „Auf der Straße!“
Das gute Gefühl von Zusammenhalt
Aufgebracht erzählt uns eine Frau: „Viele Leute sagen, die Arbeiter bei Borbet würden soviel verdienen. Aber bei so schwerer körperlicher Arbeit haben sie diesen Lohn wirklich verdient! Es gab Arbeitsunfälle, ein Arbeiter starb sogar durch die Pressmaschine. Viele von ihnen sind sehr krank, mein Mann auch.“ Ihr Ehemann bringt die schweren Arbeitsbedingungen anschaulich zur Sprache. Er hat 26 Jahre in der Gießerei gearbeitet, mit bis zu 50° Hitze und giftigen Dämpfen. Einmal jährlich mussten die Arbeiter deswegen sogar untersucht werden. Dazu unmenschliche Schichtzeiten, Contischicht: 2 Tage Frühschicht, 2 Tage Spät-, 2 Tage Nacht-, monatlich nur 1 Wochenende frei. Viele Kollegen haben große gesundheitliche Schäden, Bandscheibenprobleme, Tinitus und auch psychische Probleme.
Ein anderer Kollege (58 Jahre) hat seit seinem 20. Lebensjahr hier gearbeitet. Er ist durch die schwere Arbeit sehr krank geworden. Seit September 2022 – nach dem Krankengeld „ausgesteuert“ – bekommt er keinerlei Geld mehr. Sein Antrag auf Frührente wurde abgelehnt. „Ich habe nicht nur meine Arbeit verloren. Ich habe mein Leben verloren.“ Doch hier spüren er und seine Frau das gute Gefühl von Zusammenhalt.
Wir fragen die Frauen, wie sie das alles schaffen, hier täglich an der Protestaktion ihrer Männer aktiv mitzuwirken neben ihrer eigenen Berufstätigkeit, Familie, Kinder und Haushalt.
Eine von ihnen erklärt: „Ja, klar ist das viel. Aber diese Aktion hier ist uns sehr wichtig! Wir müssen kämpfen, die schenken uns doch nix! Ich selbst habe 21 Jahre bei Akzenta gearbeitet. Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz!“
Wir laden sie ein zu Courage und zur Wuppertaler Straßenaktion am 8.März, dem Internationalen Frauentag. Dort können sie selbst den Kampf der Borbet-Kollegen in der Öffentlichkeit weiter bekannt machen. Auch eine Gesprächsrunde von Courage und den Borbet-Frauen würde dazu beitragen. Denn Arbeiter- und Frauenbewegung zusammen können im Team sehr viel mehr erreichen. Das gilt auch für andere aktuelle Fragen wie teure Lebenshaltungskosten, Zerstörung der natürlichen Umwelt oder die drohende Gefahr eines neues Weltkriegs. Das stimmt unsere Gesprächspartnerinnen nachdenklich: „Ja, es ist schlimm, was auf der Welt passiert! Wir werden mit den anderen Frauen sprechen, ob wir am 8.März kommen.“
Borbet will in Solingen einfach 600 Arbeitsplätze vernichten!
Auch ihre Kinder sind hier immer mit dabei. Sie kennen den Ablauf. Zwei kleine Mädchen fahren vorsichtig mit ihrem pinken Roller durch die Menschentraube. Während die Mutter der kleinsten Teilnehmerin am Mikrofon agiert, passen andere Frauen verantwortungsvoll auf diesen kleinen Wildfang auf.
Angesprochen darauf, was die Borbet-Kollegen mit ihren Frauen beim Rodel-Weltcup am 12. Februar in Winterberg/Sauerland gemacht haben, berichtet eine Frau:
Ja, wir sind mit über 100 Kollegen im Februar nach Winterberg gefahren. Dort haben wir demonstriert mit den IG-Metall-Fahnen und unserem Transparent und auf die Schließung aufmerksam gemacht. 700 Flyer haben wir verteilt. Viele Leute wussten noch nichts von der Schließung und haben nachgefragt. Denen haben wir erklärt, dass Borbet in Solingen 600 Arbeitsplätze einfach vernichten will, obwohl er genug Geld hat und seit Jahren diesen Rodel-Cup sponsert.
Wo ist das Geld der Erdbeben-Steuer geblieben?
Heute gibt es am Schluss der Aktion keine Musik, wie sonst üblich wird nicht gemeinsam getanzt. Der Grund: das verheerende Erdbeben in der Türkei und Syrien mit Tausenden Toten, Verletzten und obdachlos gewordenen Menschen. Die meisten Borbet-Arbeiter kommen ursprünglich aus der Türkei. Sie haben sofort Spenden für die Betroffenen gesammelt. Ihren Schmerz und auch ihre Empörung verbergen sie nicht. „Es ist einfach schrecklich. Dort im Erdbebengebiet der Türkei wurden viele neue Häuser gebaut, aber ohne den nötigen Schutz. Die Arbeiter haben sozusagen ihr eigenes Grab vorbereitet. Die Häuser fielen wie Karten zusammen. Wo ist das Geld der Erdbeben-Steuer geblieben? Damit haben sich korrupte Leute die Taschen voll gemacht.“ Kummer und Wut wechseln sich ab, trotzdem machen sie weiter! Obwohl das Werk bereits geschlossen wurde, kämpfen sie weiter gegen diese Schließung – selbstbewusst und selbstständig.
Den Borbet-Kollegen und ihren Frauen geht es nicht nur um die Arbeitsplätze bei Borbet, das bringen sie immer wieder zum Ausdruck:
SIE fühlen sich verantwortlich für die Ausbildung, Arbeit und Zukunft der Kinder!
SIE lernen durch den organisierten Zusammenhalt und sind Mutmacher/innen!
SIE werden zum Vorbild für andere Belegschaften und dafür erhalten sie Solidarität!
SIE zeigen einen unerschütterlichen Kampfgeist, von dem auch wir lernen können!
Courage Wuppertal