„Sand im Getriebe“ einer Öffentlichkeitsstrategie der japanischen Regierung zu sein, die alle Risiken und die Krise nach Fukushima negiert, das ist das Leitmotiv der Konferenz der Deutsch -Japanischen Gesellschaft am 14./15. September 2019 in Dortmund in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung NRW: „Für eine Olympiade in Tokyo, die die Gefahren von Fukushima nicht verschweigt.“
„Alles unter Kontrolle“, behauptet die japanische Regierung und setzt mit ihrer Medienstrategie auf die Fügsamkeit der japanischen Presse, die von Professor Eiichi Kido (Politikwissenschaftler an den Universitäten Osaka und Bochum) „Regierungspudel“ genannt wird, sie sei kein „Wachhund der Öffentlichkeit“ mehr. Im internationalen Ranking der Pressefreiheit ist Japan von Platz 11 (2010) auf Platz 67 (2019) gesunken. Es herrsche Selbstzensur und eine enge Beziehung zu den Regierungsvertretern.
Frau Yoko Schlütermann, die mit ihrem Ehemann ein Hilfsprojekt für Kinder aus der verstrahlten Region um Fukushima betreibt (Erholungsaufenthalte in Okinawa), berichtet, dass allein im Gebiet von Iitate über 2 Millionen Müllsäcke mit radioaktivem Abraum in der Landschaft herumliegen, teils neben Getreidefeldern, Straßen und Gebäuden. Rücksiedlungen evakuierter Anwohner werden bezuschusst, das Handbuch der Regierung behauptet die angebliche Ungefährlichkeit der vorhandenen Strahlung. Was passiert aber mit der kontaminierten Erde in den Säcken, was mit dem Wasser auf dem AKW-Gelände? Fragen, auf die es bisher keine Antwort gibt.
Es gibt kein Melderegister für alle Schilddrüsenkrebsfälle, die durch den Fukushima-Gau induziert sind. Bisher bekannt sind 273 Kinder mit Schilddrüsenkrebs, die Dunkelziffer ist größer, da umgesiedelte Kinder statistisch nicht unbedingt erfasst werden. Dr. Hagen Scherb (ehemalig. Helmholtz Zentrum München) kritisiert die derzeit gültigen Grenzwerte im Strahlenschutz. Auch eine Niedrigstrahlungsdosis im 1 mSv Bereich und darunter hätten eine erbgutverändernde Wirkung. Er hat einen signifikanten Anstieg der Säuglingssterblichkeit, von Herz- und Hodenfehlbildungen nach 2011 anhand eigener Auswertungen und Studien anderer Kollegen festgestellt.
Felix Jawinski (Japanologe, Universität Leipzig) stellt zur Situation der AKW Arbeiter in Fukushima fest, dass sie zu 90 % in Subunternehmen angestellt sind. Die unterste Stufe bilden die sog. „AKW Zigeuner“, „Wegwerfarbeiter“, Tagelöhner, die einer hohen Strahlenbelastung ausgesetzt sind und in hochkontaminierten Bereichen arbeiten. Dosimeter werden abgenommen, wenn sie piepen, da man sonst aufhören muss zu arbeiten. Sie werden auch durch besonders dafür eingesetzte Arbeiter zurückgestellt. Alle Arbeiter müssen eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben, die mit einer Geldstrafe sanktioniert wird. Je weiter unten in der Hierarchie der Subunternehmen, desto weniger Geld kommt bei den Arbeitern an, das Arbeitsentgelt versickert in den vielen Zwischenstufen.
Andreas Singler (Japanologe und freier Journalist) zitiert in seinem Beitrag den Journalisten Nakajima Takashi: „Ich bin gegen die Olympischen Spiele in Tôkyô. Ministerpräsident Abe hat bei der Abstimmung des IOC gesagt, die Strahlenproblematik sei vollständig unter Kontrolle. Er verwendet die Olympischen Spiele, um von den Strahlenschäden des Atomunfalls abzulenken“ und mit dem „Festgetöse“ um Olympia wolle man erreichen, „dass die Leute sagen, dass die Regierung nicht schlecht sei und dass sie die Verantwortung des Staates für den Unfall vergessen“.
Provisorischer Lagerplatz für kontaminierte Erde – 50 m entfernt von Tennis-Court, 200 m entfernt vom Baseball-Stadion
In der Diskussionsrunde, an der u.a. Thomas Dersee (Strahlentelex) und Prof. Dr. Steffi Richter (Japanologie Leipzig) teilgenommen haben, werden als besondere Kritikpunkte genannt:
Das J-Village als Sport- und Ausbildungszentrum, das der Unterbringung der Olympiateilnehmer dienen soll, liegt 20 km von den Katastrophenreaktoren entfernt (In Tschernobyl noch immer Sperrzone).
Sportstätten liegen 50 km vom AKW entfernt.
Der Fackellauf, zu dem Teilnehmer ab 12 Jahren sich anmelden können, verläuft durch alle Strahlenzonen, auch durch Gebiete mit einer Strahlung von 20 mSv. Dazu Kowata Masumi, Stadträtin in Ôkuma-machi: „Entlang der (am AKW Fukushima Daiichi vorbeiführenden, Anm. d. Verf.) Nationalstraße 6 ist die radioaktive Strahlung hoch. Es gibt Gegenden, in die fast niemand zurückgekehrt ist, und das ist keine Umwelt, in der die Bevölkerung die Läufer unterstützen kann.“ (zitiert nach Singler)
Vom 10.03.-18.03.2020 finden in Tokyo und Fukushima Aktionswochen mit deutscher Beteiligung (Martin Kastranek, Heinrich Böll Stiftung) statt. Von japanischen Gruppen (u.a. Yosomono) sind vielfältige Aktionen geplant. Zeitgleich wird es Aktionswochen in Düsseldorf, Braunschweig und weiteren deutschen Städten geben.
Fotos aus Japan von Andreas Singler