Eine solidarische Courage-Delegation für streikende Schuhfabrikarbeiterinnen am 1.Mai 2018 in Tuzla/Bosnien

Ein Reise- und Erfahrungsbericht

Zum 1. Mai 2018 reiste eine Delegation von Couragefrauen nach Bosnien- zu Besuch bei den streikenden Schufabrikarbeiterinnen in Tuzla. Sie hatten sich auf der Europakonferenz der Basisfrauen 2018 kennengelernt. Es entstand eine Freundschaft und Partnerschaft. In der Vorbereitung der 3. Weltfrauenkonferenz in Tunesien wollen wir Frauen von Courage unsere internationalen Partnerschaften ausbauen und festigen.   Durch gegenseitige solidarische Unterstützung, Austausch über die aktuelle Situation und Kämpfe und Freundschaft  festigen wir den weltweiten Zusammenschluss der Basisfrauen.

Beispielhaft und zur Nachahmung empfohlen hier der Reisebericht:

Sieben bosnische Frauen waren auf der Europakonferenz

Mitte April war die Europakonferenz der Weltfrauen in der Schweiz, zu der wir zu dritt aus unserer Courage-Gruppe hinfuhren. Ich war überrascht und erstaunt, daß sieben bosnische Frauen anwesend waren. Aus einem Land, in dem die Frauenbewegung noch schwach entwickelt ist, laut der Aussage einer bosnischen Gewerkschafterin in Tuzla. Aus genau diesem Grund freute ich mich über jede Frau vom Balkan, Albanien war auch mit einer Delegierten vertreten. Somit war die Balkanpräsenz sogar stärker als die deutsche mit 5 Frauen, wie aufregend. …

"Vidimo se" (wir sehen uns)

Seit dem Jugoslawienkrieg habe ich die unerträglichen, bestialisch grausamen Massenvergewaltigungen nicht vergessen, die sicher auch dazu beigetragen haben, daß  ich mich bei Courage organisiert habe. Und jetzt saßen sie plötzlich unerwartet vor mir, die Frauen von Zena-Zrtva-Rata (Frauen als Kriegsopfer) aus Sarajewo. Und mutige bosnische Fabrikarbeiterinnen aus Gracanica, die aktuell einen Streik anführten um ihre Löhne. Kein Wunder, daß diese geballte Balkanpower eine neugierige Anziehungskraft auf mich ausübte.  Als dann die 2 Delegierten der Streikfront eine Delegation zum 1.Mai forderte, fühlte ich mich direkt wie persönlich angesprochen, war aber gehemmt in der Zusage, weil zu viel unklar war: Einreisepapiere, Flug, Urlaub, Übernachtung, Begleitperson…und alles bei dem Zeitdruck. … Und als Rabija zum Schluß  „Vidimo se“ (wir sehen uns) zu mir sagte, klang es wie eine Prophezeihung und donnerte voll rein bei mir.

Also ich bereue nichts und meine liebe mutige Begleiterin aus meiner Couragegruppe  auch nicht, die zum Glück eine Woche vor Abflug auch noch Feuer gefangen hatte, die Reise anzutreten.  Sonja war die idealste Ergänzung der Delegation, weil sie slowenische Wurzeln hat und die Sprache zum größten Teil  verstand und wir uns auch schon kannten. Hier auch an sie ein großes Dankeschön für ihren Mut, Unterstützung und Lust aufs Unbekannte. Als wir endlich im Flieger saßen, fiel eine große Anspannung von mir ab und wich einer aufgeschlossenen Neugierde, was da wohl alles auf uns zu kommt.

In Tuzla winkte uns Najila hinter der Ankunftsschranke aufgeregt zu, sie hat mich gleich wiedererkannt. Sie holte uns mit ihrem slowenischen Freund ab und brachte uns nach Gracanica. Sonja plappert gleich munter drauf los, zu meiner Überraschung erstaunlich gut.

Auf der Fahrt wurde es dunkel und die auffällig beleuchteten Moscheentürme kündigten uns eine etwas andere Kultur an, auf die ich sehr gespannt war.

Wir kriegen hier so aufgetischt, die Frauen aber ihre Löhne nicht!

Wir hatten ein eigenes kleines Hüttelchen, jede ihr Zimmer und eine Dusche mit Klo, richtig nett. Eine Umstellung, mit der ich auf Kriegsfuss war, war die Sitte, vor dem Haus die Schuhe auszuziehen. Ich witzelte, daß es vor jedem Haus aussieht wie im Secondhand-Schuhladen und  es war regelrecht Werbung für Fortuna (die Schuhfabrik, die sie bestreikten). Rabijas spielender Hund schleppte die Schuhe auch manchmal fort.

Nun zum ersten Frühstück am Montagmorgen: Ein gebackenes Huhn liegt aufgetürmt auf einer Platte und duftet köstlich, serviert mit Brot, Tomate, Gurke, wunderbar…zum Glück sind wir beide Herzhaftfrühstückerinnen und lieben auch die Lauchzwiebeln zu den tollen warmen Frühstücksmenüs. Sonja witzelt, ich hätte fast ein ganzes Huhn alleine verschlungen. Manchmal beschleicht uns schon ein mulmiges Gefühl, daß wir hier so aufgetischt kriegen und die Frauen aber ihre Löhne nicht bekommen.

Bevor wir zur Polizei sind, waren wir vorm Betriebstor bei Fortuna. Es sind wenig Frauen da und passen auf. Es stehen 3 Zelte da, im größten sind 2 richtig hohe Schlafstätten, damit auch nachts Streikposten vor Ort sein können. Die Stadt transportiert die Müllberge nicht mehr ab auf dem Betriebsgelände, deshalb gab es aktuell eine Rattenplage und niemand schläft gerade da. 2 Transparente fallen uns auf, sie sind aus Deutschland….

Der 1. Mai in Tuzla

In Tuzla staune ich über den Platz, wo es stattfindet. Das daneben sieht aus wie ein zerbombtes Gebäude oder ein Überbleibsel vom Krieg…. . Es spielt laute Musik und die Menschen werden langsam mehr; die Reden beginnen, verschiedene Fernsehsender sind auch da. Leider verstehe ich nichts von den Reden, aber ich verstehe das Transparent, das groß neben dem Rednerplatz hängt, worauf auf bosnisch steht: Tod dem Kapitalismus, Freiheit fürs Volk. Aufgrund dieser Kapitalismuskritik bin ich erleichtert, weil meine Rede auch diese Richtung hat und ich unsicher war, wie sie wohl ankommen wird. Aber wenn gleich der Tod für dieses System gewollt wird, dann krieg ich wohl kaum faule Tomaten ab.

Das Gegenteil trat ein: sie kam sehr gut an, wurde mit Klatschen, Bravo-bravo-Rufen und Willkommensgrüßen unterbrochen. Vielleicht auch gerade deswegen, weil wir vom Ausland kamen. Ich war gerührt und kriegte Gänsehaut, internationale Solidarität ist ein immenser Trumpf….

Die Frau, die mich mit den Bravo-Rufen unterbrochen hatte, meinte anerkennend, daß meine Worte sehr gefühlvoll waren. Sie drückten uns die Hände,  bedankten sich und luden uns ins Gewerkschaftshaus ein. Es war mir eine große Ehre und ein unvergessliches Erlebnis der Einladung zu folgen. Diese aufgeschlossene Gastfreundschaft und das freudige Empfangenwerden, hier spürten wir einen praktischen Aspekt von „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch“. Sie servierten uns Kaffee und Getränke, wir verbrachten mehr als die ausgemachte Stunde da drin mit diskutieren und Erinnerungsfotos machen….

unsere Herzen bleiben noch lange in Bosnien

Letzter Morgen, heute ist Abflug, Abschied von liebgewonnenen Menschen schmerzt ….. Jasmina, die Nachbarin ist jetzt da, die übersetzt, sie wohnte lange im Ruhrpott, kann fließend deutsch. Sie besorgt mir noch Henna. Wir lassen die gewechselten KM (bosnische Währung) bei Rabija, wir brauchen sie nicht in Deutschland und die Frauen können sie brauchen für politische Fahrten nach Tuzla. Wir verabschieden uns aufgewühlt von allen und die Augen bleiben nicht trocken, Wehmut macht sich breit. Najila und ihr Freund bringen uns wieder zum Flughafen. Die kleine Couragedelegation fliegt wieder nach Deutschland, aber unsere Herzen bleiben noch lange in Bosnien….. Vidimo se Bosne

Ich würde gerne wieder in den Balkan reisen, vielleicht auch Serbien oder Albanien, aber mindestens für 2 Wochen oder mehr, als Haupturlaub  mit Mietwagen (sind dort noch billig, die Zimmer auch): welche Frau ist abenteuerlustig und begleitet mich in ein nicht ganz gewöhnliches Reiseland, bin flexibel in der Terminierung…..ruft mich an: 0751-5682993 oder 0171-1832504